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Wolfgang Fobo

Regelgläubige Deutsche, pragmatische Chinesen

Aktualisiert: 13. Nov. 2019


Diese Geschichte hat mein chinesischer Vertreter erlebt, der mit einer Delegation im Dezember von Peking nach München fliegen wollte. Es war Schneesturm in Peking, kein Flugzeug konnte starten. Nach einer langen Wartezeit, bis der Schneesturm zuende war, ging es dann darum, welche Maschine zuerst enteist und „entfliegen“ durfte. Vom Abflugplan her wäre die Lufthansa die erste Maschine gewesen. Aber unser Vertreter erlebte, wie die Air France, Alitalia und alle anderen vorher abflogen. Schnell kam er hinter das Geheimnis. Die Chinesen kannten genau die Ankunftszeit in Frankfurt, und wann der letzte Anschlussflug nach München ging. Damit die Lufthansa entsprechend rechtzeitig abheben konnte, wollten die Chinesen etwas „Speed Money“ von der Lufthansa haben, welches Lufthansa kategorisch ablehnte (..die anderen Airlines offenbar nicht). So kam der Lufthansa-Flieger spät abends in Frankfurt an, und alle Passagiere mussten für teures Geld im Sheraton untergebracht werden.

Dies sei typisch deutsch, prinzipienfest, egal wie viel es kostet, meinte er. Andererseits werden wir dafür aber auch von den Chinesen geschätzt, denn wir haben eine Linie. Ehrlich, aufrichtig, stur. Da sind die Chinesen doch viel gewiefter, wie man das auch immer werten mag.


Die Kreuzung vor meinem Hotel

Wer einmal einen Eindruck davon haben will, wie China funktioniert, dem empfehle ich, sich eine Stunde an die Kreuzung vor meinem Hotel zu stellen. Ampelgeregelt, und wie es in Nanjing üblich ist, zählt während der Rotphase eine digitale Anzeige rückwärts die Sekunden, wie lange man noch warten muss, bis grün ist. Rot oder grün ist relativ, meistens halten sich die Chinesen dran, die Autofahrer relativ sicher. Aber dann gibt es noch die Fahrradfahrer, und die Fußgänger. Gelegentlich baut ein Autofahrer noch eine zusätzliche Spur auf, auf der Gegenfahrbahn, damit er eine gute „Pole Position“ hat. Oft hilft das aber auch nicht, denn bei grün dauert es immer noch einige Zeit, bis die Kreuzung geräumt ist. Das ist das richtige Leben, und so funktioniert China auch im Geschäftsleben. Machen wir aus den Verkehrsregeln einmal die vertraglichen Grundlagen, und die Verkehrsteilnehmer sind die Vertragspartner. Jeder kennt die Regeln, und jeder versucht, doch noch schnell die Regeln zu seinen Gunsten umzustellen. Wird eine Regel verletzt, wird auch nicht sofort sanktioniert wie bei uns. Chinesen wissen, dass Regeln verletzt werden, und verhalten sich im Straßenverkehr entsprechend vorsichtig. Kein böses Hupen, wenn die Vorfahrt genommen wird. Wenn ich den Vertrag verletze, werde ich in aller Regel dann auch keine vereinbarte Vertragsstrafe oder sonstige Sanktion zu erleiden haben, wenn die andere Seite dadurch keinen gravierenden Nachteil erleidet.

Es gelten die Regeln des Stärkeren, und der Schwächere richtet sich eben danach. Armeefahrzeuge, das sind alle die mit weißen Nummernschildern, dürfen eh alles, da traut sich kein Polizist hin. Interessanterweise schauen die Polizisten dem Geschehen meistens zu, da wuselt es immer noch kreuz und quer.

Aber dann kommt doch einmal eine Erziehungskampagne, dann geht es streng zu. Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein Baum, und hinter dem Stamm hat sich schon öfters ein Polizist versteckt, um uns Fußgänger in flagranti zu ertappen, wenn wir bei Rot über die Straße gehen. Oder mein Fahrer muss 5 RMB Strafe zahlen, weil er mich wo hat aussteigen lassen, wo er nicht halten darf. Ja, gelegentlich geht es streng zu. Die Chinesen nennen das die „strenge Periode“, wohl wissend, dass diese vorbei geht.

Heißt für uns Geschäftsleute, dass wir nicht unbedingt davon ausgehen können, dass der Vertragspartner seine Verpflichtungen streng einhält. Aber wir müssen das auch nicht, und können Verträge verletzen, zumindest es riskieren, nicht immer wird sofort sanktioniert.

In der Regel sind es auf der Lieferantenseite die Liefertermine, und auf der Kundenseite die Zahlungstermine. Selbst wenn „wir“ einmal schlechte Qualität liefern sollten, heißt es nicht zwangsläufig, dass der Kunde sofort sanktioniert. Selbst habe ich schon erlebt, dass der Kunde dann spürt, dass er das Gesicht verlieren würde, wenn er seinen empfundenen Beschiß öffentlich machen wollte Und schweigt und leidet. Wir Ausländer sollten uns aber nicht unbedingt darauf verlassen, das uns der Kunde bei Mängeln in Ruhe lässt.

Was der Verkehr auf der Kreuzung vor meinem Hotel beispielhaft demonstriert, gilt also auch im Geschäftsleben.

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