März 2008
Auf dem Laufband, und was man daraus lernen kann
Nach der Arbeit, abends auf dem Laufband im Hotel. Im Fitness-Raum stehen 4 davon nebeneinander, 2 Fernseher dazu. Die beiden Fernseher sind nach innen ausgerichtet, d.h. von den beiden äußeren Laufbändern sieht man die Fernseher nicht so gut.
Ich bin alleine, Fernseher in dezenter Lautstärke eingestellt. Nachrichtenkanal, mit Untertiteln, dann kann man immer lesen, denn Laufen macht doch Lärm. Mittleres Laufband.
Kurz danach gesellt sich ein Europäer dazu. Nimmt das andere mittlere Laufband. Anderer Kanal, dezente Lautstärke, damit wir uns nicht gegenseitig stören.
Kommt ein Chinese dazu. Nimmt das Laufband neben mir, schnappt sich die Fernbedienung und zappt mir mein Programm weg, ohne mich zu fragen. Und weil der andere Fernseher auch läuft, wird sofort die Lautstärke voll aufgedreht. Ich bin fasziniert von der Verhaltensweise, reagiere nicht und denke mir meinen Teil.
Kommt kurze Zeit später eine Chinesin dazu, nimmt sich das restliche Laufband, schnappt sich die Fernbedienung, und zappt meinem Nachbarn sein Programm weg, und dreht sofort auf volle Lautstärke auf. Denn nebenan ist es höllisch laut.
Keiner der beiden Chinesen kann irgendwas verstehen, keinem ist überhaupt klar, was sie da tun. „Ich zuerst“, egal wie wir uns dabei behindern.
Genauso funktioniert übrigens auch der chinesische Straßenverkehr. Obwohl weniger Autos auf der Straße sind, sind die Staus größer. Jeder fährt kreuz und quer, obwohl er die Regeln kennt. Nanjing ist da besonders schlimm, in Peking und Shanghai geht es schon etwas gesitteter zu. Wenn ich mitten auf der Straße wenden will, wo ich nicht darf, dann halte ich eben, egal wie laut und heftig es hinter mir hupt, warte, bis der Gegenverkehr eine Lücke freilässt, und dann wende ich eben. Fußgänger, Mopeds, von allen Seiten wuselt es ungeregelt in den Straßenverkehr hinein. Immerhin, die Chinesen bestehen nicht auf deren Vorfahrt und halten dann eben oder fahren langsam. Daher die Staus.
Hier in China kann man so schöne Nationalcharakterstudien betreiben Und diese Laufbanderfahrung lässt sich voll ins Geschäftsleben übertragen.
Ich will das Verhalten der Chinesen der Mitwelt gegenüber einmal mit einem chinesischen Entscheidungsbaum beschreiben.
Allgemeine Szene: Ein Chinese steht vor einer Situation, in welcher er sich einen Vorteil verschaffen kann.
Frage 1: kann ich mir einen kurzfristigen Vorteil verschaffen, obwohl ich nach den Regeln nicht darf?
Wenn ja, dann Frage 2: schade ich damit einem aus dem engeren Kreise ? (Verwandte, Freunde)
Wenn ja, dann lass ich es bleiben
Wenn nein, dann handelt es sich bei meinem Gegenüber aus einer Person außerhalb des engen Kreises, und ich darf, und damit stellt sich Frage 3: schade ich mir? Oder sind irgendwo kurzfristig Nachteile zu erkennen?
Wenn ja, dann lasse ich es bleiben.
Wenn nein dann
MACHE ES !
So werden Regeln gebrochen, auch im Geschäftsleben. Nach diesem Strickmuster habe ich schon so viele Handlungen erlebt, die dann langfristig dem chinesischen Akteur doch noch geschadet haben. Aber, wie es so schön heißt, der Kater lässt das Mausen nicht.
Konsequenz für uns Ausländer: Immer und immer wieder Stärke zeigen ! Chinesen sind immer und grundsätzlich auf deren Vorteil bedacht, egal ob es Regeln gibt oder nicht. So wollen sie die Wirtschaft erobern, auch international. Werden z.B. Mitglied in der WTO, um sich Vorteile zu verschaffen, aber beim Umsetzen von Vorschriften, welche deren bisherigen Vorteile schmälern oder eingrenzen, lassen sie sich schön viel Zeit.
Oder wenden wir mal obigen Entscheidungsbaum an, wenn es um die Frage geht, ob ich als chinesische Regierung mich im Sudan aktiv engagieren soll, trotz Darfur, um daraus Vorteile zu erhalten, wie in diesem Falle die Sicherstellung der Ölversorgung. Und siehe da, was kommt heraus?
Wer freundlich ist, zumindest im Außenverhältnis, ist ein gutgläubiges Weichei. Ich will mich da nicht ausnehmen, ich habe auch schon Lehrgeld bezahlt. Freundlichkeit ist allenfalls ein taktisches Mittel zum Durchsetzen von Interessen und zum Verbergen der wahren Absichten.
Aber wenigstens habe ich es kapiert. Und bin hoffentlich noch nicht zu alt zum Umsetzen des Erlernten.
Wenn der geneigte Leser jetzt daraus den Schluss ziehen wollte, ich habe Probleme mit den Chinesen, so irrt er. Von allen Asiaten sind sie mir dennoch die Liebsten
Drängeln und Ungeduld
Das muss wohl in den Genen der Chinesen stecken, die Ungeduld, was man z.B. auch an der „Tür Zu“ Taste im Aufzug erkennen kann. Das ist der am häufigsten gedrückte Knopf.
Fast jedes Mal beim Einchecken oder Auschecken im Hotel, oder wenn ich sonst an einem Schalter stehe und bedient werde, kommt ein Chinese daher, stellt sich neben mich und fängt an, meinen „Fuwuyuan“ („Service-Person“) mit einer Frage zu unterbrechen. Immer noch ist meine Faszination stärker als mein Ärger, den Drängler in die Schranken zu weisen. Geborene Egoisten sind sie, die Chinesen. „Ich zuerst“ ist die Devise. Kann man das mit der dauernden Knappheit in der Vergangenheit erklären, als nur der Stärkere weiterkam?
Als ich noch viel mit öffentlichen Bussen unterwegs war, war es jedes Mal ein Kampf, in den Bus hineinzukommen, und dann wieder heraus. Schnell lernt der zunächst unbedarfte Ausländer, seine Ellbogen einzusetzen. Oder er bleibt draußen. Beim Aussteigen habe ich mich zuletzt einfach nur noch nach unten fallen lassen, und Kraft meiner Masse und der stärkeren Ausgangsposition hat sich dann automatisch ein Weg gebahnt.
Über die Jahre hat sich das gebessert, wohl weil genügend Angebot da ist. Aber noch in den 80er-Jahren war der Unterschied zwischen Hongkong und China augenfällig. Chinesen können nämlich sehr gut Schlange stehen, mit genügend englischem Training.
Die Ungeduld der Chinesen kann auch sehr positive Konsequenzen haben. Im Restaurant sitzt man noch nicht richtig, schon steht die Bedienung daneben. Und auf das Essen muss man auch viel weniger lange warten als bei uns. Nun gut, da gibt es auch viel mehr Personal. Und das kostet auch so gut wie nichts.
Ganz euphorisch kann man als Ausländer werden, was die Wartezeit auf das Gepäck betrifft, wenn man aus dem Flieger aussteigt. In der Regel dreht sich schon das Karrussell, bis wir dort angekommen sind, und sehr oft sehe ich schon meinen Koffer daherkommen. Das soll mir mal in München passieren... Da könnten die Chinesen mal uns Deutschen Entwicklungshilfe leisten...
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