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Wolfgang Fobo

Unterwegs in Indien


Gerade noch im Shangri-La-Hotel mit VIP Kunden die Welt in unserem Sinne verbessert, dann hinein in den überfüllten Zug, 2.Klasse, die erste war ausgebucht. Überraschend sauber, wenn auch relativ einfach. Liegewagen A/C. Auf dem Weg nach Kota, das ist irgendwo in Rajastan, dort befindet sich die Baustelle.

Wer langfristige Planungen für sein Gefühlsleben braucht, ist in Indien fehl am Platz, nichts ist sicher, auch mein Zug war es nicht, welchen ich sehr kurzfristig buchte, war eigentlich ausgebucht gewesen. Prakesh, mein guter Geist hier in Indien, hatte aber wieder Unmögliches möglich gemacht, organisierte das Ticket für mich, und so eilte ich Hals über Kopf zum Bahnhof, um den Zug zu erwischen, mit kleinem Gepäck. Zu klein, wie ich zu spät bemerkte, denn ich hatte mein Notebook in der Eile im Büro liegen lassen. Eine relativ langweilige Fahrt wartete auf mich, nix zum Fenster rausgucken, denn diese waren verhängt, um der Hitze keine Chance zu geben. Ohne Notebook blieb mir nichts anderes übrig, als meine Bücher zur Hand zu nehmen, mit welchen ich mich in Bangkok eingedeckt hatte und welche mir über die Fahrt hinweghalfen.

In den Fahrpreis eingeschlossen ist die Verpflegung, verhungern und verdursten ist also ausgeschlossen, und das vegetarische Essen hat sogar einigermaßen geschmeckt. So ruckelte ich 5 Stunden nach Kota. Dort sollte ich dann abgeholt und ins Camp gebracht werden, wo ich in deren Guest House übernachten sollte.

In Kota angekommen, hat mich eine Hitzewalze beinahe erschlagen, und das nachts um 10 Uhr. Tagsüber solle es hier 45-47°C haben, bedeutete man mir später, und nachmittags zwischen 1 und 4 Uhr hätten die Bauarbeiter Mittagspause, da seien die Bewehrungseisen so heiß, dass man sie nicht mehr anfassen könne.

Der Rückweg wurde wieder sehr spannend gestaltet, mir sei ein Ticket 3.Klasse sicher, hieß es, aber man versuche, mich besser unterzubringen. Was besseres ist es dann auch nicht geworden, der Zug stand schon da, als ich das Ticket endlich erhielt, vom Schwarzmarkthändler, der mehr als das Doppelte wollte als auf der Fahrkarte ausgewiesen. Halunke, aber recht hast du, ich habe eh keine Wahl. 7 Stunden sollte es dauern, bis ich wieder zurück in der „Zivilisation“ sein sollte, und die gibt es in Delhi zwar durchaus, aber sie ist doch sehr stark von Sprenkeln bitterer Armut durchsetzt, überall sichtbar.

„Lustreise“ habe ich anfangs ein paar Mal gehört, wenn ich mich mal wieder auf die Walz machte. Jeder sei herzlich eingeladen, bei diesem Lustgewinn in Indien dabei zu sein. Nein, ich beschwere mich nicht, ich verbuche solche Einsätze in der Rubrik „Mini-Abenteuer“, welche es eben zu bestehen gilt, wenn ich in einem Land wie Indien eben Aufträge an Land ziehen will.

Geeignet für solche Einsätze sind aber eher die Wenigeren, denn wenn einem der Beruf außer dem reinen Geldverdienen auch sonst noch Spaß bereiten soll, sind für solche Regionen körperliche und geistige Voraussetzungen erforderlich, die einem nicht unbedingt in die Wiege gelegt werden, wie z.B. hitzefest und dreckresistent Magen. Auch die Fähigkeit, aus dem Moment handeln zu können, ohne in Panik zu verfallen

Und dann machen solche Herausforderungen fast schon mal Spaß. Mindestens wird es mir nicht langweilig hier in Indien. Alle Sinne werden gefordert. Nebenbei lerne ich indische Weisheiten kennen, and welchen ich doch manchmal zu knabbern habe. So sagte mein VIP-Kunde im Shangri-La beim Essen:

Laut Hindu-Religion ist die Menge Essen, welche man im Leben vertilgt, von vorneherein festgelegt. Ißt man mehr, stirbt man früher. Dasselbe gelte für die Anzahl der Atemzüge, welche ebenfalls festgelegt sei.

Ist doch was dran, oder?

Nun denn, die Rückreise… In der 3.Klasse reist man mit einem Touch vom “Slum Dog Millionaire”, welchen ich kurz vorher sah. Man sitzt zwar nicht im Elend, aber der Abfall liegt überall rum. Ich sitze mitten im Volk, und darf froh sein, überhaupt einsteigen gedurft zu haben. (Plan B wäre ein Bus gewesen, und das wären 10 Stunden im Bus gewesen, und der Abendtermin in Delhi wäre geplatzt). Sicher, ich wäre auch stehend nach Delhi zurück gefahren. Das alles muss man eben ertragen können, und das auch noch an Himmelfahrt, wenn zuhause alle in der Hängematte liegen.

Nachdem es in der 3.Klasse kein kostenloses Essen gibt, habe ich mich zum ersten Mal nach 35 Jahren wieder in einen indischen Speisewagen getraut. Damals, 1974, eine relativ unerquickliche Erfahrung, echt drecksaumäßig. Aber mein Magen sagte mir, er brauche Futter, und so musste ich initiativ werden. Der Speisewagen war ohne Klimaanlage, es gab abgeteilte Holzverschläge ohne Tische, und in einen davon wurde ich einquartiert. Kakerlaken krabbelten auf dem Boden, was die Essübung erschwerte. Ohne Tisch stellt man das Tablett auf den Schoß, und wenn einem dann während des Essens die Kakerlake die Hosenbeine hinaufklettert, ist man zum Stillhalten verpflichtet, wenn man auf der einzigen Hose keine Saucen-Sauerei veranstalten will.

Keiner sprach Englisch, Speisekarte sowieso nicht, und dem Typ, der mich auf Hindi ansprach, sagte ich „Veg“ für vegetarisch, dann verschwand er und kehrte 5 Minuten später wieder mit einem Tablett zurück. In solcher Umgebung enthalte ich mich dann doch lieber der Versuchung, Fleisch zu bestellen, das wäre ein ewiges Gezutzel geworden, denn egal ob Huhn oder Lamm, Knochen satt hätte ich bekommen. Auf dem Tablett 4 Schalen säuberlich in Alu-Folie verpackt, die Sauce tropfte aber schon raus. Eine schöne Portion Reis immerhin, und ein sauberer Plastiklöffel. Fortschritte im Vergleich von vor 35 Jahren.

So löffelte ich mir dieses Mahl hinein, in der Bruthitze, Saucen auf dem Tablett, die Kakerlaken unten, und immer aufpassend, dass mir bei diesem Geschaukel die Sauce nicht mein Sonntagsgewand versaute (...denn ich konnte mich nicht umziehen und musste so wie ich war zum Abendessen mit dem nächsten VIP)

Für dieses Mittagessen hatte ich 35 Rupien hinlegen dürfen, so ca. 60 Cents, und dann gab mein Magen auch schon Ruhe. Und, das darf ich anfügen, ohne Nebenwirkungen, denn die Klos in diesem Zug....

Meine beste Hose, welche ich dabei hatte, durfte dies alles miterleben. Ach ja, die Kleiderordnung. Sie kommt nicht selten als erschwerendes Element ins Spiel. Man zieht sich fein an, man will ja schließlich an das Geld des Kunden, und dann findet man sich unversehens als „overdressed“ in einer völlig anderen Situation wieder. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich in Anzug und Krawatte auf wackeligen Hühnerleitern herumturnen durfte, weil es auf Brückenbaustellen in China wohl nur wackelige Hühnerleitern gibt. Aus Bambus, mit wackeligen Stufen, manchmal auch bereits fehlend, was einem Abstieg einen besonderen Reiz vermittelt, wenn der rettende Boden 15 m unter einem ist.

Der Ausflug endete übrigens genauso, wie er anfing, im Shangri-La Hotel, Abendessen mit dem nächsten VIP, welcher sich sogar herabließ, auf mich zu warten, denn der Zug hatte Verspätung. Diese Bewirtung zu dritt hat dann das 300-fache gekostet – mit eigentlich demselben Effekt, denn auch da gab dann mein Magen Ruhe. Das mag ich, die ganze Klaviatur des Lebens erleben zu dürfen.

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